Anna C. Paul, 29 Jahre
Bevor ich mit dem Super(hairy)woman* Projekt gestartet bin, hätte ich mich niemals getraut, meine Körperhaare anderen zu zeigen außer mir selbst. Und sogar vor mir selbst waren sie mir peinlich und unangenehm. Ich fand sie nicht schön. Ich konnte sie nicht als einen Teil von mir sehen und anerkennen. Das hat sich mittlerweile geändert. Mein haariger Körper ist zur Normalität geworden, ich mag meine Haare, sie gehören zu mir und fehlen mir, wenn sie nicht da sind. Das erstaunt mich manchmal, weil ich mir zwar gewünscht hatte, dass es so kommt, es mir aber zuvor nicht so richtig vorstellen konnte. Trotzdem wollte ich es versuchen, ich wollte mich von der Vorstellung verabschieden, mich als Frau enthaaren zu müssen und lernen, mich an meine Haarigkeit zu gewöhnen. Welche Schritte mir dabei halfen und was mir auf dem Weg bewusst wurde, davon möchte ich im Folgenden erzählen.
Perfekt enthaarte Frauen* haben womöglich dieselben Struggle wie ich.
Dieses Projekt entstand aus der Erkenntnis heraus, dass ich gar nicht genau weiß, wie es anderen Frauen* mit dem Enthaarungsprozess ergeht. Ich kannte nur meine eigenen Erfahrungen und Gedanken dazu und konnte über andere nur mutmaßen, da ich nie ernsthaft mit ihnen darüber gesprochen hatte. Sobald ich anfing, die ersten Gespräche über Körperhaare zu führen, stellte ich fest, dass jeder Mensch, mit dem ich sprach, darüber etwas zu erzählen hat und die Geschichten, die ich erfuhr, überraschten mich. Denn nicht nur tat es gut zu hören, wie egal manchen Personen dieses Thema ist, wie schön manche Menschen Haare sogar finden, sondern es tat vor allem gut zu hören, dass ich nicht die einzige bin, die diese Normvorstellung und deren Einhaltung frustriert, nervt und unzufrieden macht.
Mein Spiegelbild kann eine Freundin* sein.
Bevor ich meine Haare der Welt präsentierte, wollte ich mich erst einmal selbst an sie gewöhnen. Ich stellte mich immer und immer wieder vor den Spiegel und betrachtete meinen haarigen Körper. Wie sehe ich eigentlich aus, so vollkommen haarig? Dass mir der Anblick zunächst nicht gefiel, wunderte mich nicht und ich versuchte mir das zu erlauben und mir Zeit zu geben. Manchmal stellte ich mir auch vor, ich sehe im Spiegelbild eine Freundin* und ertappte mich dabei, dass ich die Haare an ihr gar nicht mal so schlecht und beim zweiten Hinschauen sogar richtig cool fand. Mit diesem Gedanken versuchte ich mir selbst eine gute Freundin* zu sein und sanft mit mir zu bleiben. Ich testete meine Sehgewohnheiten aus, kümmerte mich um die Haare, die dort wuchsen, besah meine haarigen Stellen separat und im Zusammenhang mit dem restlichen Körper. Und auch, wenn es egal sein sollte, welche Kleidung ich trage, halfen bestimmte Kleidungsstücke mir bei meinem Gewöhnungsprozess. Ich zog meine liebsten Outfits an und erkundete, wie die zusammen mit Haaren aussahen. Alles, was mir half, mich in meinem Körper ansonsten wohlzufühlen und gleichzeitig haarig zu sein, ließ mich auch immer leichter haarig wohlfühlen.
Ich bin ein Mensch mit Haaren, die wachsen da von Natur aus.
Mit der Zeit fand ich heraus, wie meine Haare aussehen, wo sie überall wachsen, wie sie sich anfühlen und wie lang sie werden. Ich lernte, sie wahrzunehmen als etwas, das ist und zu mir gehört. Mir das selbst einzugestehen, war vielleicht der größte Schritt.
Mein Gehirn kann sich umgewöhnen.
Verschiedene Bilder zu sehen war wichtig, um das festgefahrene Bild in meinem Kopf zu verwaschen. Im Internet lässt sich alles finden. Das ist ein Fluch und Segen, in meinem Fall ein Segen. Denn dort stieß ich das erste Mal auf Frauen*, die ihre Haare zum Thema machten. Ich fand Fotos, sah mir Vlogs an, in denen Frauen* darüber sprachen, warum sie sich nicht mehr enthaaren und ihre Achseln und Beine in die Kamera streckten. Mittlerweile gibt es auch immer mehr journalistische und aufklärende Beiträge über die Enthaarungsnorm, Podcasts, die sich mit Körperhaaren auseinandersetzen, Kunstinstallationen und Fotografien, die das Thema aufgreifen und neu interpretieren… Je mehr ich fand und in mir aufsog, umso mehr entspannte sich auch das Bild in meinem Kopf, ich müsse immer und zu jeder Zeit haarlos sein. Ich gewöhnte mich an den Anblick und fand etwas schönes daran.
Ich gehe mein eigenes Tempo.
Auch wenn ich selbst weibliche* Körperbehaarung immer schöner fand, war der Schritt, dies auch anderen zu zeigen, immer noch ein großer. So tastete ich mich langsam heran und sorgte sogar erst einmal dafür, dass ich meine Haare weiterhin verstecken konnte – diesmal aber mit einem anderen Mindset. Ich kaufte mir plötzlich T-Shirts, obwohl ich zuvor im Sommer immer Tops getragen habe. Aber T-Shirts gaben mir das gute Gefühl von einem Schutzraum, wenn ich meine haarigen Achseln nicht zeigen wollte, gleichzeitig konnte ich sie durch das Heben der Arme dennoch sichtbar werden lassen. Dabei merkte ich auch, wie meine Haare immer öfter sichtbar wurden, ohne, dass ich in dem Moment darüber nachdachte. Ebenso bin ich auf den Geschmack von halblangen, luftigen Hosen gekommen, die mich und meine Umwelt ganz dezent an den Anblick gewöhnen. Damit fühle ich mich bis heute sehr wohl und ich merke wie sich mit der Zeit eine Veränderung einstellt. Sie ist langsam, aber stetig. Ich gehe mein eigenes Tempo. Ich kann gar nicht anders.
Der Blick der anderen ist nicht mein eigener.
Als ich bereit war, meine Haare auch offen vor anderen zu zeigen, wurde ich davon überrascht, wie wenig ich doch darauf angesprochen wurde. Die Vorstellung, ich würde nur auf Ablehnung stoßen, baute sich nach und nach ab. Manchen Personen, die ich fragte, waren meine haarigen Beine gar nicht aufgefallen. Andere fanden es mutig und wir kamen sogleich ins Gespräch. Wieder andere fanden sie zwar nicht schön, aber akzeptierten sie. Nur wenige konfrontierten mich wirklich mit abwertenden Blicken oder Kommentaren. Und umso selbstbewusster ich mit meinen Haaren wurde, umso weniger interessierten mich solche Reaktionen.
Mein Handeln hat auch eine Wirkung auf andere.
Mit halblanger, luftiger Kleidung kam ich wunderbar durch meinen ersten haarigen Sommer und genoss das neue Wohlgefühl in meinem Körper. So richtig „bikiniready“ war ich allerdings noch nicht – was für mich auch in Ordnung war, ich wollte mir schließlich Zeit geben. Ein Besuch an der Ostsee änderte dies schlagartig. Ich traf dort auf ein junges Mädchen, eine Angehörige der Familie, die direkt nach meiner Ankunft unbedingt und sofort mit mir ins Meer gehen wollte. Darauf war ich nicht vorbereitet und der Anblick des vollkommen überfüllten Strandes machte nicht gerade Mut. Das Mädchen wusste noch nichts von meinem Projekt und ich hatte es bisher vermieden, mit ihr über Körperhaare zu sprechen. Sie war gerade 12 geworden und ich war mir nicht sicher, ob das überhaupt schon ein Thema bei ihr war. Doch plötzlich wurde es zu einem. Wir waren umgeben von tippitoppi glatten Frauen*körpern und mir, aber eben auch ihr bot sich keine Alternative. Mich vor ihr diesem einheitlichen Bild zu beugen und nur wegen meiner Haare nicht ins Meer zu gehen, widerstrebte mir plötzlich. Wenn ich mich jetzt zurückhielt, signalisierte ich ihr genau das, was ich eigentlich durchbrechen wollte. Somit entschloss ich mich, wenn auch etwas aufgeregt, meinen Bikini anzuziehen, als sei nichts dabei. Ich bemerkte sofort ihre Blicke auf meinem Körper, die mir zeigten, meine Haare fallen ihr auf, ein ungewohntes Bild für sie. Das bestätigte mich, wie wichtig dieser Move gerade war. Und nicht nur für sie, auch für mich, denn ohne sie hätte ich an diesem Tag wahrscheinlich nicht das kühlende Meer genossen.
Meine Haare sind ein guter Dating-Filter.
Körperhaare und Dating passten für mich lange Zeit nicht zusammen. Doch im Zuge meines neuen Haarbewusstseins stellte ich fest, dass Haare beim Daten sogar sehr hilfreich sein können. Da die Frage nach „Woran arbeitest du gerade?“ früher oder später immer auftaucht, kam ich oft recht schnell auf Super(hairy)woman* und somit auch auf meine Körperbehaarung zu sprechen. Das hat mich ziemlich entspannt, denn so konnte ich gleich herausfinden, ob die andere Person cool damit ist oder eben nicht. Wenn die Person nach dem Erzählen kein Interesse mehr zeigte, konnte ich mir spätere Enttäuschungen ersparen.
Zusammen ist frau* weniger alleine.
Ich erinnere mich noch gut daran, wie meine beste Freundin und ich vor einigen Jahren nach drei Wochen Wildcampen auf Island zusammen beschlossen, unrasiert in die Blaue Lagune zu gehen. Wir hatten unsere Körper vor dem Urlaub waxen lassen und mittlerweile sprossen die Stoppel wieder fröhlich vor sich hin. In der Hoffnung, es würde die drei Wochen halten, hatte wir keine Rasierer mitgenommen und wollten jetzt kurz vor Abflug keine mehr kaufen. Der Gedanke, meine Haare ungeniert zu zeigen, war damals noch meilenweit von mir entfernt und ich hätte mich alleine höchstwahrscheinlich nicht getraut, ein gut besuchtes Thermalfreibad ohne haarfreien Körper zu betreten. Aber zusammen mit meiner Freundin fühlte es sich ermächtigend an, so vollkommen stoppelig über das verregnete Gelände zu laufen, um dann in der warmen Lagune unterzutauchen. Diesen Schritt gemeinsam zu gehen, machte es so viel leichter. Gemeinsam mutig zu sein hilft. Das wurde auch während der Arbeit an diesem Projekt nochmal deutlich, wie bestärkend dieser Punkt ist. Zwar müssen wir alle unsere Schritte selbstständig gehen und unsere eigenen Erfahrungen machen, aber uns gegenseitig dabei zu unterstützen, uns auszutauschen, neuen Input zu geben, Solidarität zu zeigen, macht einen großen Unterschied!
Ein großer Dank an alle, die bisher an Super(hairy)woman* teilgenommen haben und ein großes Willkommen an dich, die*der das hier gerade liest! Du bist herzlich eingeladen, auch bei diesem Projekt mitzumachen, zum Austausch über Körperhaare beizutragen und den Raum weiter zu öffnen!