Tessa, 22 Jahre
Meine Mutter hat sich nicht für ihre Körperbehaarung geschämt. Meine Mutter hat mir nie vorgeschrieben, dass ich mich zu rasieren habe. Als mir zum ersten Mal Achselhaare wuchsen, zeigte ich sie ihr stolz. Mit purer Aufregung und Begeisterung freute ich mich auf die Zeit, die mir bevorstand, weil es sich für mich anfühlte, wie erwachsen zu werden, reif zu werden. Heute blicke ich wehmütig auf diese ursprüngliche Begeisterung und Neugierde über meinen sich verändernden Körper zurück und wünsche mir, sie hätte länger angehalten. Heute bewundere ich mein jüngeres Ich für die observierende Ruhe mit der ich Prozesse wie Körperbehaarung und auch Menstruation begegnete und dokumentierte. Wann genau ich anfing mich glatt zu rasieren weiß ich nicht mehr, ich kann mich aber noch erinnern wie die Scham langsam hochkam. Bald verstand ich, dass niemand in meinem Alter das unschuldige Gefühl der Freude über Körperbehaarung teilte. Weder in meinem Freundeskreis noch in meiner Klasse sprachen wir offen über Körperbehaarung und ich hütete mich das Thema anzusprechen. Alles was ich sah waren glatte Beine, haarlose Achseln. Überall. Ich fragte meine Mutter, ob ich ihren Rasierer ausleihen konnte, und sie leitete mich etwas überrascht aber ohne Zögern an. Auf einmal lebte ich nicht mehr in meinem Körper, sondern wir standen uns gegenüber. Der Körper, den ich zuvor mit meinen eigenen wertungsfreien Augen betrachtet hatte, wurde jetzt von einem entfremdeten Blick unter die Lupe genommen. Und mein Körper wehrte sich, meine Haut wurde gereizt, gerötet, pickelig, blutig. Meine Haut narbte als wolle sie mir nicht verzeihen für diesen Wandel, der sich in meinem Kopf vollzog. Ich bekam immer mehr dunkle Haare an den Beinen, im Intimbereich und auch das fühlte sich für mich an wie eine Kampfansage von meinem Körper. Wie er sich sträubte den gesellschaftlich gezogenen Linien wie der Bikinizone zu gehorchen. Nun verband ich Panik, Scham und Abneigung mit meiner Körperbehaarung und jede Rasur, jeder Versuch meine Haare zu entfernen wurde ein tränenreicher Akt gegen mich selbst. Ich schämte mich für meine eigenen Haare und ich schämte mich für die Haare meiner Mutter. Ich schämte mich so lange, bis wieder jemand anderes ihre Haare ohne Scham zeigte und mich daran erinnerte, dass mein Selbstbild verzerrt wurde. Mich an das ursprüngliche Gefühl erinnerte, mich an meine ursprüngliche Akzeptanz erinnerte. Mein Prozess hin zur Akzeptanz meines Körpers ist ein Prozess des Erinnerns.